Der kettenrauchende Fussball-Philosoph (2024)

Dem Fussballtrainer César Luis Menotti ging es nie nur ums Gewinnen. Lieber wollte er einen «linken Fussball» spielen lassen. Als «offensiv, sauber, fröhlich» definierte er seinen Stil. Im Gegensatz zu einem rein ergebnisorientierten Spiel pflegte der Coach mit seinen Mannschaften einen «intelligenten» Fussball. «In Erinnerung bleiben die Teams, die mit gutem Fussball gewinnen», sagte er einst der argentinischen Zeitung «Clarín». Mit seiner Interpretation des Spiels hat sich «El Flaco» (der Dünne) in seiner Heimat Legendenstatus erarbeitet.

1978 verhalf er Argentinien als Nationaltrainer zum grössten sportlichen Erfolg. Im Final von Buenos Aires qualmte der kettenrauchende Menotti mit seinem Pendant Ernst Happel um die Wette, als die Argentinier das Spiel gegen die Niederlande nach Verlängerung 3:1 gewannen. Mit seinem «linken Fussball» führte Menotti die «Albiceleste» im eigenen Land zu ihrem ersten Weltmeistertitel. Ein Land, das zu jener Zeit unter der Gewaltherrschaft der rechten Militärjunta litt.

War der Weg zum WM-Titel 1978 erkauft?

Der Diktator Rafael Videla wollte mit der Weltmeisterschaft Argentiniens Image in der Welt aufbessern. Und ausgerechnet Menotti, ein Kommunist und Regimekritiker, bescherte ihm den Titel. Doch Menottis grösster Triumph als Trainer steht unter einem Vorbehalt. Der argentinische WM-Titel ist mit Korruptions- und Bestechungsvorwürfen belastet.

Insbesondere der Einzug in den Final ist bis heute umstritten. Argentinien benötigte im entscheidenden Spiel der Zwischenrunde gegen Peru einen Sieg mit mindestens vier Toren Differenz, um in der Tabelle an Brasilien vorbeizuziehen. Schliesslich schoss das Team um Mario Kempes, Daniel Passarella, Leopoldo Luque und Daniel Bertoni deren sechs. Der Sieg gilt als eines der umstrittensten Spiele der Fussballgeschichte. Bis heute hält sich der Verdacht, die Militärjunta habe sich den Sieg mit einer Zahlung von 50 Millionen Dollar und einer kostenlosen Getreidelieferung an Peru erkauft. Bewiesen wurde das allerdings nie.

Ungeklärt ist auch Menottis Rolle. War er ein Mitwisser oder ein Opfer? Er kritisierte die Militärs zwar nicht offen, liess seine Ablehnung aber durchscheinen. «Wir spielen nicht für die Ehrentribüne voller Militärs, wir spielen für die Leute. Wir verteidigen nicht die Diktatur, sondern die Freiheit», soll er vor dem WM-Final 1978 zu seinen Spielern gesagt haben.

Nach dem gewonnenen Titel sagte er: «Meine talentierten und klugen Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt.» Die Rolle des linken Kämpfers nahmen ihm trotzdem nicht alle ab. Menotti war zwar ein Intellektueller, stammte aber aus der Oberschicht und war mit der Tochter eines schwerreichen Bankiers verheiratet.

Menotti war ein Verfechter der Arbeiterklasse

Menotti galt zeitlebens als Fussball-Philosoph. «Der Ball ist für den Spieler, was für den Dichter die Worte sind», sagte er einst. Am Fuss oder am Kopf könne er sich in ein Kunstwerk verwandeln. Und: «Der Fussball hat mir die Möglichkeit gegeben, mich auszudrücken.» Das Spiel gehöre der Arbeiterklasse, aus der es hervorgegangen sei. Mit seinem Fussball wollte Menotti den Menschen in den Mittelpunkt rücken. Die Fähigkeiten und Potenziale seiner Spieler erkennen und stetig weiterentwickeln.

Menotti, der wie Messi aus der Stadt Rosario stammte, spielte einst als Stürmer mit Pelé beim FC Santos zusammen. Für die argentinische Nationalmannschaft absolvierte er elf Länderspiele. 1970 startete er seine Trainerkarriere bei den Newell’s Old Boys. Seinen ersten Titel als Trainer gewann er 1973 mit dem Klub Atlético Huracán in der argentinischen Liga.

1974 wurde er zum Trainer der «Albiceleste» berufen. Zu dieser Zeit befand sich der argentinische Fussball in einer Krise. An der Weltmeisterschaft in Deutschland quälte sich die Mannschaft durch die Vorrunde, scheiterte in der zweiten Finalrunde an Brasilien und den Niederlanden. Vier Jahre zuvor hatte sich Argentinien nicht einmal für die Weltmeisterschaft in Mexiko qualifiziert.

Menotti startete einen Umbruch und vermittelte der Mannschaft seinen Spielstil. 1977 liess er den 16-jährigen Diego Armando Maradona im Nationalteam debütieren, vor der Weltmeisterschaft 1978 strich er ihn jedoch aus dem Kader. Menotti befand den Jungstar als noch nicht reif genug, um dem Druck der Heim-WM standzuhalten. Ein Jahr später gewannen sie zusammen die Junioren-Weltmeisterschaft in Japan. Maradona schoss am Turnier sechs Tore und sagte einst: «Menotti war der Grösste. Der beste Trainer, den ich hatte.»

Nach dem Bekanntwerden seines Todes huldigten Menotti auch andere Granden des argentinischen Fussballs. «Eine der grossen Figuren unseres Fussballs hat uns verlassen», schrieb der Superstar Lionel Messi auf Instagram. Mario Kempes, der Torschützenkönig der WM 1978, bezeichnete den Tod Menottis als einen «unersetzlichen Verlust». Er schrieb: «César war für mich viel mehr als nur ein Kollege. Er war ein Freund und ein unschätzbar wertvoller Mentor.»

Selbst Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei kondolierte. «Tiefe Trauer über den Abschied des Anführers einer Gruppe, die dem Land eine der grössten Freuden bereitet hat. Obwohl ich einer anderen Schule angehöre, wäre es töricht, den Beitrag von César Luis Menotti zu leugnen.»

«Sein Vermächtnis wird weiterleben»

Menotti war noch bis 1983 argentinischer Nationaltrainer. Danach folgten Anstellungen im FC Barcelona, bei Atlético Madrid, Sampdoria Genua und einigen Vereinen in Südamerika. Der grösste Erfolg blieb jedoch der WM-Titel im eigenen Land; er ist der Grund für Menottis legendären Ruhm bis zum heutigen Tag.

Dem Fussballgeschäft blieb Menotti bis ins hohe Alter treu. Noch mit 80 Jahren nahm er einen Job im argentinischen Fussballverband an, bis zuletzt war er Generaldirektor für die verschiedenen Nationalmannschaften des Landes. Mit viel Freude erlebte er Argentiniens dritten WM-Titel 2022 in Katar. «Das Geheimnis dieser Mannschaft ist, dass sie Fussball spielt. Es macht mich glücklich, dass sie die Geschichte des Spiels respektiert», sagte er damals vor dem Final.

Menotti fühlte sich bestätigt in seinem Fussball, den er Jahrzehnte zuvor geprägt hatte. «Sein Vermächtnis wird in jedem Tor, in jedem Spiel und in jedem Herzen, das diesen Sport liebt, weiterleben», schrieb Mario Kempes.

Am Sonntag ist César Luis Menotti im Alter von 85 Jahren gestorben. Er litt unter Blutarmut.