Drohne am Draht: Putins Truppen entdecken alte Steuerungstechnik neu (2024)

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Von: Karsten-Dirk Hinzmann

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Eine Trommel mit zehn Kilometer Glasfaserkabel, am anderen Ende ein Quadrocopter. Russlands Truppen suchen einen Umweg zu ukrainischem Störfeuer.

Kiew –„Alle von Abu Towgetroffenen Ziele wurden mit dem ersten Treffer zerstört“, schreibt Gernot Kramper. Der Stern stellte kurz nach Ausbruch des Ukraine-Krieges seinen Lesern Suheil al-Hamoudvor, oder „Abu Tow“, wie er sich nannte –der Syrer galt als der weltweit erfolgreichste Schütze an einer Panzerabwehrwaffe. Mit diesen drahtgelenkten Raketen will er im Verlauf des Syrien-Krieges gut 140 gegnerische Fahrzeuge abgeschossen haben. Drahtgelenkte Waffen sind eine Erfindung aus der Zeit des Zweiten Weltkrieg – jetzt scheinen sie wieder zeitgemäßer denn je: Als drahtgelenkte Drohnen in der Ukraine in den Händen der Truppen von Wladimir Putin.

Das Magazin The War Zone äußert die Vermutung, Russlands Streitkräfte scheinen nun umgestellt zu haben auf modifizierte FPV-Drohnen (First Person View), „die über eine physische Glasfaserleitung statt über eine drahtlose Datenverbindung gesteuert werden“. Ein Blogger aus der ukrainischen Armee hat auf seinem Telegram-Kanal diese Vermutung genährt, indem er Bilder gepostet hat von einem Quadrocopter, der an einer Trommel mit mehr als zehn Kilometern Glasfaser-Kabel hing. Ort und Zeit des Fundes ließ der Autor „Serhiy Flesh“ offen.

Putins neue Drohne: Der Draht ist in der Raketentechnik ein alter Hut

Der Soldat will seinen Fund offenbar zur weiteren Analyse an die ukrainische Drohneneinheit „Birds of Magyar“ übergeben haben – so The War Zone aufgrund der Angaben von „Serhiy Flesh“ –der allerdings lässt offen, wodurch ihm das komplette Ensemble in die Hände gefallen ist. Der Sender n-tv hat einen entsprechenden Post auf X (vormals Twitter) dazu veröffentlicht und spekuliert, das Fundstück könne auch lediglich ein Prototyp sein.

„Der Drohnenpilot muss ein Verständnis für Dreidimensionalität haben, deshalb ist die Grundausbildung die gleiche für Drohnen- wie für Jetpiloten.“

The War Zone glaubt an die Authentizität des Fundes, weil sie Sinn machen würde. Drahtgelenkte Steuerung ist immun gegen Signale der gegnerischen Elektronischen Kampfführung, die die Funkverbindung zwischen dem Piloten und seiner Drohne stören können – ein Gegner könnte mittels Eingriff in das Signal die Drohne zum sofortigen Stopp zwingen oder sogar zum Heimflug oder könnte deren Daten auslesen. Die durch Draht gelenkte Waffe ist dagegen gefeit, zwingt dem Piloten aber den ständigen Sichtkontakt auf und eine weitestgehend hindernisfreie Strecke zwischen Start und Ziel.

Für Drohnen stellt diese Steuerung ein Novum da, in der Raketentechnik gilt sie als alter Hut. „Drahtgelenkte Panzerabwehrraketen sind seit Jahrzehnten weltweit im Einsatz und viele aktuelle Modelle,wie etwa einige der Spike-Modelle Israels, verwenden Glasfaserkabel. Die weit verbreitete TOW-Rakete amerikanischer Produktion trägt diese Eigenschaft bereits in ihrem Namen: Tube-launched, Optically-tracked, Wire-guided“, schreibt The War Zone . Suheil al-Hamoud habe alle seine anvisierten Ziele getroffen, zitiert ihn der Stern. Fehlschüsse wären nur Materialfehlern geschuldet gewesen. „In einem Fall traf der Steuerdraht der Rakete auf eine elektrische Leitung, das führte zu einem Ausfall.“, schreibt Autor Kramper.

Drohne ohne Funk: Der Pilot bleibt für seinen Gegner unsichtbar

Drohnenpiloten haben grundsätzlich die gleichen Herausforderungen zu meistern wie Piloten in Kampfjets, sagt Jürgen Schumann im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Die Drohnenpiloten der Bundeswehr durchliefen die annähernd gleiche Ausbildung wie Luftahrzeugführer, erklärt der Obersteutnant und Eurofighter-Pilot. „Der Drohnenpilot muss ein Verständnis für Dreidimensionalität haben, deshalb ist die Grundausbildung die gleiche für Drohnen- wie für Jetpiloten.“ Das Auftauchen einer drahtgelenkten Drohne mag bedeuten, dass die ukrainische Drohnenabwehr beziehungsweise deren Elektronische Kampfführung einige Erfolge zeitigen. Anders macht der Rückgriff wahrscheinlich wenig Sinn.

The War Zone weist allerdings daraufhin, dass Drohnen am Draht einiges an Einsatzwert einbüßen: „Die Effektivität von FPV-Drohnen beruht größtenteilsauf ihrer hohen Manövrierfähigkeit“, schreibt das Magazin. Insofern kann die Waffe lediglich eingesetzt werden, wo die Frontabschnitte ruhig und abgegrenzt sind, The War Zone spricht von „stabilisiert“: „Hindernisse können richtig kartiert und erkannt werden, sodass jede größere Interaktion mit dem Draht vermieden wird und die Entfernungen zu potenziellen Zielen gut definiert werden können“.

Das Magazin spricht der Waffe auch eine gute Effektivität auf kurze Distanzen zu – als Nahkampfmunition beispielsweise; „auch die Verwendung von Taktiken, bei denen die Drohne eine größere Höhe beibehält, bevor sie direkt auf ihr Ziel herabstößt, wäre ein optimiertes Profil für eine solche Waffe“, schreibt The War Zone. Dem Magazin zufolge läge aber der größte Vorteil einer physisch gesteuerten Drohne in ihrer Emissionsfreiheit. Das Ausbleiben von elektromagnetischen Impulsen macht die Drohne unsichtbar für Gegner, die ansonsten aus der Position sowie aus der Bewegung einer Drohne durch das Messverfahren der Triangulation auch den Standort des Piloten ermitteln und letztendlich ausschalten könnten. Das entfällt durch die kabelgebundene Steuerung.

Störungsfreie Drohne: US-Boys entwickeln Waffe aus dem 3D-Drucker

Allerdings haben sich Drohnen zu einem Massenphänomen auf den ukrainischen Schlachtfeldern entwickelt. Schwärme von schwebenden Bomben an Schnüren scheinen aktuell noch keine realitätsnahe Vorstellung zu sein. The War Zone empfindet den Fund insofern als aufsehenerregend, weil das Magazin darin einen erneuten Beweis für die innovative Dynamik des Uraine-Krieges sieht. Parallel zu einer drahtgebundenen Drohne haben angehende US-Ingenieure eine gegenüber elektronischem Störfeuer unabhängige Drohne entwickelt –zumindest als Prototyp.

Als Ergebnis eines 24-stündigenHackathonsim kalifornischen El Segundo behauptete ein Trio aus drei jungen Ingenieuren, sie hätten lediglich einen 3D-Drucker und rund 450 Euro benötigt für eine Drohne, die ihre GPS-Koordinaten ohne Signal berechnet und zwar mittels eines Algorithmus, der Satellitenbilder von Google Maps mit Bildern ihrer Kamera abgleicht.Im Umkehrschluss macht das den Krieg schneller –und für die einzelnen Soldaten mitunter schwer nachvollziehbar. Unter der Überschrift „Blitzkrieg-Angriffe werden zum Selbstmord“, hat Paul F. Walker bereits vor fast 50 Jahren im Spiegel vor der zunehmenden Intelligenz von Abwehrwaffen gewarnt.

Comeback der Drohne am Draht: Russlands Hoheit im Äther wohl noch umkämpft

Investitionen in tumbe aber teure Panzertechnik erschien dem amerikanischen Rüstungsforscher schon damals absurd. Ende vergangenen Jahres hat die Neue Zürcher Zeitung diese Vermutung insofern bestätigt, als sie am Beispiel eines panzergestützten Angriffs die Schwierigkeiten der Ukraine gegen die ausgefeilte russische Elektronische Kampfführung beschrieben hat: „Erkennen die Aufklärer eine Chance, muss der Angriff der Infanterie überraschend erfolgen – und von exakt terminierten Feuerschlägen der Artillerie begleitet werden. Das Gefecht der verbundenen Waffen ist auch im kleinen Massstab auf die Koordination der verschiedenen Elemente angewiesen.“ Könne ein Kommandant im Kommandopanzer über Funk nicht führen, verlöre er Übersicht und Handlungsfreiheit, so die NZZ.

Jede Einheit bliebe auf sich gestellt. Verschiedene Analysten sprechen immer wieder davon, dass beide Seiten im Ukraine-Krieg versuchten, „die Hoheit über den elektromagnetischen Raum zu erreichen“, wie die NZZ formuliert; angesichts des vermeintlichen Comebacks der drahtgebunden Waffe scheint diese Hoheit trotz der vermeintlichen russischen Überlegenheit noch umkämpft zu sein. Allerdings gilt wohl auch für die Drohne am Draht die Technik als entscheidender Faktor –jedenfalls gilt das wohl zumindest für die drahtgelenkten Panzerabwehrwaffen: Der laut Stern „erfolgreichste Schütze der Welt“ schien selbst wenig auf sein soldatisches Können zu geben.

„Abu Tow“ jedenfalls habe nach eigenen Worten vor allem mit dem alten russischen System Malyutka zu kämpfen gehabt. Sie sei die anspruchsvollste Waffe für den Operateur, schreibt der Stern über seine Erfahrungen. „Hier trage die Technik nur 35 Prozent zum Erfolg bei, der Rest hänge vom Talent des Schützen ab“, hat er gesagt. Bei den russischen Modellen Konkurs, Kornet und der us-amerikanischen BGM-71 TOW „würde die Technik 90 Prozent übernehmen“, so „Abu Tow“, „der Operator sei weniger wichtig“.

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